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Der Mystiker und der Okkultist

A.A.Bailey - Briefe über okkulte Meditation:

Der Mystiker arbeitet sich vom Gefühl zur Intuition durch und von dort aus zur Monade oder zum Geist. Der Weg des Okkultisten führt von der physischen zur mentalen Ebene und von dort aus zum Atma oder Geist. Der eine folgt der Richtlinie der Liebe, der andere der des Willens. Der Mystiker verfehlt den Zweck seines Daseins - nämlich tätig bewiesener Liebe - solange es ihm nicht gelingt, eine Synthese des Ganzen durch Anwendung intelligenten Willens zu erlangen. Deshalb muss er Okkultist werden. Der Okkultist scheitert in gleicher Weise und wird lediglich zum selbstsüchtigen Exponenten eines sich intelligent auswirkenden Machtbedürfnisses, solange sein Machtwille und sein Wissen nicht ihren Zweck in einer beseelenden Liebe finden, die als hinreichendes Motiv für seine Bestrebungen dienen darf. Ich habe den Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen klarzulegen versucht, denn er ist beim Studium der Meditation von grosser Wichtigkeit. Die von beiden Typen benutzte Formel ist grundverschieden und für den hellsichtigen Beobachter sehr interessant. Der Mystiker befasst sich mit dem Gott im Innern; der Okkultist befasst sich mit der Form, mit Gott in der sichtbaren Schöpfung. Der Mystiker wirkt vom Zentrum aus zur Peripherie hin; der Okkultist macht es umgekehrt. Der Mystiker wächst durch Sehnen und intensive Hingabe an den Gott im Innern oder an den Meister, den er erkennt; der Okkultist kommt dadurch ans Ziel, dass er das Gesetz in seiner Auswirkung erkennt, und indem er das Gesetz, das die Materie in Banden hält, geschickt handhabt, passt er es den Bedürfnissen des innewohnenden Lebens an. Dadurch tritt der Okkultist allmählich mit jenen Intelligenzen in Berührung, die das Gesetz handhaben, bis er die grundlegende Intelligenz selbst erreicht. Die mystische Formel Der Ausdruck «mystische Formel» ist nahezu paradox, denn der Mystiker - solange er sich selbst überlassen bleibt - vermeidet jegliche Formel. Er konzentriert sich auf den Gott im Innern und brütet über jenes innere Bewusstseinszentrum nach; er versucht, jenes Zentrum mit anderen zu verbinden - wie z.B. mit dem Meister oder einem Heiligen oder sogar mit dem höchsten Logos selbst - und an der <Linie des Lebens> entlang emporzusteigen, wobei er den umgebenden Hüllen keinerlei Aufmerksamkeit schenkt. In [150] seinem Wirken folgt er dem Pfad des Feuers. «Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer» bedeutet für ihn die wörtliche Feststellung einer Tatsache und einer erkannten Wahrheit. Er erhebt sich von Feuer zu Feuer und wächst in stufenweiser Erkenntnis des inneren Feuers, bis er das Feuer des Weltalls berührt. Die einzige Formel oder Form, die ein Mystiker etwa gebrauchen mag, liesse sich als eine Feuerleiter oder ein feuriges Kreuz bezeichnen, mit dessen Hilfe er sein Bewusstsein zum gewünschten Niveau emporhebt. Er konzentriert sich auf Abstraktionen, mehr auf Attribute als auf Aspekte und mehr auf das Leben als auf die konkrete Form. Er strebt, er ist innerlich entflammt, er sucht nach Harmonie, er liebt und wirkt durch Hingabe. Er meditiert, indem er das konkrete Denken ganz und gar auszuschalten sucht und strebt danach, mit einem Satz von der Gefühlsebene auf die Intuitionsebene überzuspringen. Er hat die Fehler seines Typus - ist verträumt, visionär. unpraktisch, gefühlvoll, und es fehlt ihm die mentale Qualität, die wir kritisches Unterscheidungsvermögen nennen. Er ist intuitiv und neigt zum Märtyrertum und zur Selbstaufopferung. Ehe er sein Ziel erreicht und ehe er zur Einweihung reif ist, muss er dreierlei tun: Erstens muss er durch Meditation lernen, seine dreifache Natur zu beherrschen und Formeln zu entwerfen, um dann deren Wert zu würdigen. Zweitens muss er einen Sinn für den Wert des Konkreten entwickeln und sich klar werden über den Platz, der innerhalb des Gesamtrahmens den verschiedenen Hüllen zukommt, durch die sich das von ihm so sehr geliebte Leben manifestieren muss. Er muss an seinem Mentalkörper arbeiten und ihn mit dem vorhandenen Tatsachenmaterial vertraut machen, sonst kann er nicht viel weiter vorwärtskommen. Drittens muss er durch intelligentes Studium des Mikrokosmos, seines kleinen geistig-materiellen Systems, den zweiseitigen Wert des Makrokosmos verstehenlernen. Anstatt nur das <verzehrende Feuer> zu kennen, muss er auch das <aufbauende Feuer> verstehen und handhaben lernen, das Feuer, welches verschmilzt und Formen entwickelt. Er muss durch Meditation den dreifachen Gebrauch des Feuers erlernen. Dieser letzte Satz ist von sehr realer Bedeutung, und ich möchte ihn daher besonders betonen. Die okkulte Formel Vor zwei [151] Tagen untersuchten wir die Methode, durch welche der Mystiker zur Einswerdung gelangt und skizzierten kurz den Pfad, auf dem er sein Ziel zu erreichen sucht. Heute wollen wir uns ebenso kurz mit der Methode des Okkultisten und mit seiner Meditationsart im Vergleich zu der des Mystikers befassen. Später wollen wir dann sehen, wie die beiden sich vereinigen und ihre Einzelbestandteile in einem Ganzen verschmelzen müssen. Jede Art von <Form> übt auf den Okkultisten eine natürliche Anziehungskraft aus; nebenbei möchte ich hier einen Gedanken einschalten. Wenn das eben Gesagte zutrifft, so dürfen wir heute mit einiger Gewissheit eine schnelle Entwicklung okkulten Wissens und das Erscheinen einiger wahrer Okkultisten erwarten. Das Einströmen des siebenten Strahles der Formel oder des Rituals ist ein machtvoller Ansporn und erleichtert die Auffindung des okkulten Pfades und die Aneignung okkulten Wissens. Der Okkultist beschäftigt sich zunächst mehr mit der Form, durch welche die Gottheit sich manifestiert, als mit der Gottheit selbst, und hierin offenbart sich der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Typen zuerst. Der Mystiker schaltet auf seiner Suche nach dem Selbst das <Denken> aus oder versucht dessen Grenzen zu überschreiten. Der Okkultist kommt zum gleichen Resultat, indem er intelligentes Interesse zeigt für die Formen, die das Selbst verschleiern und indem er dabei das <Denkprinzip> auf seinen beiden Ebenen anwendet. Er erkennt die Hüllen, die verschleiern. Er gibt sich ganz dem Studium der Gesetze hin, die das manifestierte Sonnensystem regieren. Er konzentriert sich auf das Objektive, und dabei mag er am Anfang des öfteren den Wert des Subjektiven übersehen. Am Ende gelangt er zum Kern des Lebens, indem er eine Hülle nach der anderen bewusst erkennt, beherrscht und dann ausschaltet. Er meditiert über die Form, bis er die Form aus dem Auge verliert und bis der [152] Schöpfer der Form zu Allem im All wird. Er muss, so wie der Mystiker, dreierlei tun: 1. Er muss das Gesetz erkennen und auf sich selbst anwenden lernen. Straffe Selbstdisziplin ist seine Methode, und das ist notwendig, denn die dem Okkultisten drohenden Gefahren sind nicht die gleichen wie die des Mystikers. Stolz, Egoismus und die Neigung, das Gesetz aus Neugierde oder Machthunger anzuwenden, müssen aus ihm herausgebrannt werden, ehe ihm die Geheimnisse des Pfades ohne Gefahr anvertraut werden können. 2. In der Meditation muss er sich mit Hilfe der erbauten Form auf das innewohnende Leben konzentrieren. Er muss das im Innern brennende Feuer suchen, das alle Formen durchstrahlt, die das göttliche Leben bergen. 3. Durch wissenschaftliches Studium des Makrokosmos, «des äusseren Gottesreiches», muss er bis zu einem Punkt vordringen, wo er das Reich Gottes auch im Innern auffindet. Hier ist also der Verschmelzungspunkt für den Mystiker und den Okkultisten. Hier werden ihre Wege zu einem. An einer früheren Stelle dieses Briefes sprach ich davon, wie interessant es für den Hellseher sei, den Unterschied zwischen der vom Mystiker und der vom Okkultisten in der Meditation erbauten Form zu beobachten. Es mag auch für den Leser von Interesse sein, wenn ich die Unterschiede kurz berühre, obwohl es für jene, die diese Gabe des Hellsehens noch nicht besitzen, vielleicht nur Worte sind. Briefe über okkulte Meditation, 149 [engl.]




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